Heinrich Sohnrey Archiv

   und Gedächtnisstätte Jühnde

Was Heinrich Sohnrey uns Landfrauen lehrte.

Von Marie Luise Bartz, Friedenau


Während die Männerwelt heutzutage klagt, teils mit resigniertem Lächeln, teils bewundernd, teils feindselig: in alle Berufe dringen jetzt Frauen ein, in unsern Vereinen können wir nicht mehr allein sein, hat Heinrich Sohnrey schon seit Jahren den Wunsch und die Bitte ausgesprochen: „Möchten sich doch unserer Vereinigung recht viele Frauen anschließen! Ohne unsere Frauenwelt können wir auf dem Lande gar nichts tun!“

    Und tatsächlich müssen alle die Aufgaben der ländlichen Wohlfahrts- und Heimatpflege zu einem großen Teil durch Mithilfe der Frauen gelöst werden; die elementarsten dieser Forderungen – geregelte Krankenpflege, Wirtschaftstüchtigkeit, Kinderfürsorge und Pflege des Geistes- und Gemütslebens – können nur von ihnen erfüllt werden. Daß Frauen bisher in nur geringer Zahl ihren Beitritt zu dem „Deutschen Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege“ erklärten, hatte vielfach in Unkenntnis seine Ursache. Mir ist häufig auf meine Aufforderung zum Beitritt erwidert worden: Ja, ist denn der Verein nicht ein landwirtschaftlicher Berufsverein für die Herren? – geht denn der uns Frauen auch an? –

    O ja, die ländliche Wohlfahrtsarbeit geht die Frauen des flachen Landes unendlich viel an, und vor allem hängt von dem tatkräftigen Vorgehen und dem Beispiel der gesellschaftlich höherstehenden ländlichen Frauen sehr viel ab. Kein Geringerer als der von Sohnreys Bestrebungen unmittelbar angeregte Prinz Albrecht zu Solms-Braunfels hat vor Jahren in dem genannten Vereine kräftig seine Stimme dafür erhoben, daß in erster Linie Frauen und Töchter der Großgrundbesitzer für die Wohlfahrtsarbeit erwärmt werden müssten. Er erkannte richtig, daß hier noch eine Unsumme wertvoller Kräfte brach lägen und dadurch ungeheure Werte verloren gingen.

    Die Gutsherrin, die Pfarrersfrau und andere intelligente Landfrauen, sie müssen vorangehen, die schlichte Landfrau für die Gedanken und das Werk der Wohlfahrtspflege gewinnen und dazu beitragen, daß die altererbte Scholle den Landleuten lieb und wert bleibt und mehr Licht und Sonnenschein in das Bauern- und Arbeiterhaus fällt. Wie vielen unverheirateten Damen des Landes, die ohne ernste Tätigkeit ihre Tage verbringen, bietet sich hier Gelegenheit, für anderer Glück tätig zu sein und sich selbst dadurch ein innerlich reiches, glückliches Dasein zu schaffen! Außerdem stehen hier – ein Gesichtspunkt, auf den Exzellenz Dr. Thiel einmal in einem Vortrage hingewiesen hat – keine staatlichen Hindernisse im Wege: „Kein gelehrtes Studium, kein Examen ist vorgeschrieben, es genügt ein klarer Blick für menschliche Verhältnisse und Nöte und vor allem ein warmes Herz für die Mitmenschen“.

    Ohne Zweifel hat auch heute noch manche Gutsbesitzerin und manche andere gesellschaftlich bevorzugte Landfrau für die hier in Frage kommenden Aufgaben kein oder nur ein mangelhaftes Verständnis. Ich selber kenn z. B. eine aus Berlin stammende pommersche Gutsbesitzerin, die den weihnachtlichen Umzug des Schimmelreiters nicht mehr dulden wollte, weil sie ihn unsinnig fand und den von dem Festzuge mitgebrachten Stallgeruch nicht ertragen konnte. Aber im ganzen greift auch bei der intelligenten Frauenwelt des Landes das Verständnis für die große Bedeutung der Wohlfahrtsarbeit allmählich immer weiter um sich. Ich wähle aus vielen Beispielen eins.

    Die um die ostpreußischen landwirtschaftlichen Frauenvereine sehr verdiente Frau Rittergutsbesitzerin Böhm (Lamgarben) berichtete in diesem Jahre auf der Hauptversammlung des „Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrtspflege“ u. a. von der großen Schwierigkeit, die es gemacht habe, auch die Frauen vom kleinen Grundbesitz zum Eintritt in die Hausfrauenvereine zu bewegen. „Ich fuhr immer wieder in die Dörfer, lud die Frauen zusammen, bat sie immer wieder, es zu versuchen. Endlich fand sich eine, die es mir zuliebe tat! Diese Liebe ist gut gelohnt worden; sie hat nachher viele andere Frauen herangezogen... Im ersten Jahre hatten wir in Rastenburg einen Umsatz von 2000 Mark, und alle Leute schlugen die Hände darüber zusammen, denn niemand hatte geglaubt, daß wir über 400 Mark kommen würden. Als wir unser zehnjähriges Jubiläum feierten, hatten wir in Rastenburg 20000 Mark Umsatz...“ Der Umsatz der gesamten 22 ostpreußischen Hausfrauenvereine betrug, wie die Dame an anderer Stelle mitteilte, im Winter 1909 nicht weniger als eine halbe Million Mark! Wie viele Landfrauen wirken in ähnlichem Sinne, wenn auch noch nicht mit solchem Erfolge! Wie viele Wunden hat ferner schon der unter der Leitung der trefflichen Frau Gräfin Frieda zur Lippe-Oberschönfeld stehende „Deutsche Landpflegeverband“ geheilt, wie viel Not gelindert, und wie oft geht mit der Bekämpfung materieller Not der Kampf gegen die geistige Verarmung und Öde Hand in Hand.

    Unsere Mütter und Großmütter kochten für ihre Kranken und Wöchnerinnen im Dorf aus eigenen Mitteln Suppen und stärkende Speisen, kleideten die Kinder der Armen zu Weichnachten und anderen Gelegenheiten in selbstgewebte und –genähte haltbare Zeuge, nahmen den Handwerksburschen, der fiebernd hinter dem Gartenzaun lag, zur Pflege in eine eigene Kammer und steckten ihn in reine Wäsche und einen warmen Rock, wenn er weiter wanderte. Und wurde es dem Hausherrn wohl einmal zuviel des Erbarmens und des Gebens und meinte er, schließlich litte das Erbe der Kinder unter so großer Wohltätigkeit, die oft ganz unwürdige und undankbare Menschen umfasste, dann wird oft die Antwort dieselbe gewesen sein, wie meine eigene, sehr warmherzige Großmutter sie ihrem Manne gab: Sind sie es nicht würdig – so sind sie dessen doch bedürftig! Worauf er, an all das mannigfache Elend rundherum gedenkend, sie still gewähren ließ.

    Aber erziehlich, die Verhältnisse bessernd, die Menschen der ärmeren Kreise zur Selbsthilfe anregend, wirkte solche Wohltätigkeit der einzelnen Familie nicht auf die Umgebung. Und die sittliche und materielle Förderung auch der geistig und wirtschaftlich Schwachen sollte doch in einem christlichen Staatswesen der Neuzeit zur hauptsächlichsten Forderung gehören, wenn schon unter Israel nach Moses´ Gesetz keine Bettler sollten zu finden sein. So war es denn durchaus nötig, daß die ländliche Wohltätigkeit zur ländlichen Wohlfahrtspflege fortschritt.

    Heute haben wir dörfliche Krankenhäuser und Schwesternpflege, aus gemeinsamen Mitteln begründet durch die „Frauenhilfe“, oder einen Zweigverein des „Vaterländischen Frauenvereins“, an dessen Spitze die Gutsherrin, Pfarrersfrau oder sonst eine gebildete Frauenkraft steht. Ganz kleine, unter sich geschlossene Ortsvereine von Frauen haben, vom Gedanken der gegenseitigen Hilfe getrieben, schon viel Gutes und Segensreiches geleistet, wenn es auch nicht immer gleich zum Bau von Gemeindehäusern und Spitälern reicht. Der Gedanke, du bist mit deiner Last und Arbeit nicht allein, hat manches niedergedrückte Frauenherz schon aufgerichtet, wenn sie wusste, nachbarliche Hilfe und andere Frauenhände greifen zu, wenn es dir schlecht gehen sollte. Ein rührendes Beispiel ist der kleine Frauenverein eines armen märkischen Tagelöhnerdorfes, den der alte Lehrer begründet hat. Es sind keine wohlhabenden Bauerfrauen dort vorhanden, die Pfarrerfamilie wohnt in der Stadt, wohin das Dorf als Filial gehört, und die Gutsherrschaft ist viel auf Reisen. Wer soll den armen Frauen helfen, wer ihnen einmal eine kleine Freude bereiten? – Sie helfen sich selbst, in treuer Gemeinschaft.

    Und wenn sie unter sich sammeln, jede ein paar Groschen gibt, um der Vereinsschwester ein paar Meter Blaudruckstoff zum Geburtstag schenken zu können, und ihr bei der Überreichung ein schönes geistliches Lied singen als Geburtstagsglückwunsch, so ist die Empfängerin beglückter, als wenn ihr von der vornehmen Gutsherrin einmal ein größeres Geschenk gemacht wird. Sie weiß, bei ihren ärmeren Mitschwestern stehen Liebe, Opfersinn und Verständnis für ihr arbeitsreiches Tagewerk dahinter, sie weiß, daß der Mann es nicht übrig hat, die kleinen Kinder noch nichts erwerben können, um der Hausmutter eine Geburtstagsfreude zu machen.


    Unsere Dorfkinder werden heutzutage in Kleinkinderschulen und Krippen zu einem großen Teil bereits sorgfältig gehütet, - zu Weihnachten mit netten praktischen Sachen bedacht, die Großen in Handfertigkeit beschäftigt, und ländliche Fortbildungsschulen wehren dem Unbeschäftigtsein der konfirmierten Jugend und fördern Knaben und Mädchen in allen Fächern, die für ihr späteres Leben von Bedeutung sind.


    Die Mittel zu solchen Einrichtungen aber schafft der aufmerksam gewordene Sinn der Gemeinschaft, geben Spar- und Darlehenskassen, die auch aus dem Wunsche der gegenseitigen Hilfe heraus ins Leben gerufen wurden. Konfirmandensparkassen halten die Mittel bereit, die heranwachsenden jungen Christen würdig einzukleiden, und wenn auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrt auch noch unendlich viel zu tun bleibt, so ist doch überall ein verheißungsvoller Anfang gemacht. –

    Und das ist alles in der Hauptsache das Verdienst Heinrich Sohnreys, der als der Vater und Schöpfer aller ländlichen Wohlfahrtspflege gelten muß. Die Abschnitte „Die hauswirtschaftliche Ausbildung der Mädchen und Frauen“ in seinem Buche „Die Wohlfahrtspflege auf dem Lande“ und seinem „Wegweiser“, die ständige Abteilung seiner Dorfzeitung „Für unsere Dorffrauen“, das von ihm angeregte und von der Frau Gräfin zur Lippe herausgegebene Buch „Die Frau auf dem Lande“, sein bekanntes unermüdliches Eintreten für eine richtige Würdigung und zeitgemäße Erneuerung der Spinnstube, durch das er allmählich einen nahezu völligen Umschwung in den Ansichten besonders der Geistlichen (Ich erinnere z. B. an die vorbildliche Belebung und Erneuerung der Spinnstube durch den märkischen Missionspfarrer Grundemann in seinem Bezirke.) über diesen Punkt herbeigeführt hat, - alles dieses lässt ahnen, welches hervorragende Interesse Sohnrey auch an dem Leben der Landfrau nimmt.

    Gewiß hat er auch auf diesem Gebiete Vorgänger gehabt – man denke z. B. an den 1859 von der Großherzoginwitwe Luise von Baden gegründeten „Badischen Frauenverein“ -, aber bahnbrechende Bedeutung hatte erst sein Wohlfahrtsprogramm und seine Wohlfahrtsarbeit.

    Möge die Aufklärung und Gewinnung der ländlichen Frauenwelt über und für die Wohlfahrtspflege im Sinne Sohnreys immer weitere Fortschritte machen, denn mit der Frau und ihrem weitreichenden Wirken steht und fällt das ländliche Anwesen, und nicht vergebens sagt der Bauer:

    Eine recht Bauersfrau ist tausend Taler wert!


Entnommen aus dem Buch „Heinrich Sohnrey von Professor Dr. Eduard Kück“ erschienen zu dessen 50. Geburtstag 1909 bei der Deutschen Landbuchhandlung/Berlin